Bund, Länder und Sozialpartner bekennen sich zur arbeitsorientierten Grundbildung

Christian Luft © Bildkraftwerk/ P.Weiler
Staatssekretär Christian Luft erklärt, dass die berufliche Weiterbildung deutlich wachsen muss.


Ob Unternehmen, Gewerkschaften, Jobcenter oder Menschen, die selbst erst spät Lesen und Schreiben gelernt haben – alle Teilnehmenden des Diskussionsabends „Fit für den Job – Grundbildung und Arbeit“ sind sich einig, dass der Job einer der wichtigsten Motivationsfaktoren ist, das Lesen und Schreiben im Erwachsenenalter noch zu lernen. Vor der Aufführung des Theaterstücks „Der erste Mensch“ im Renaissance Theater Berlin trafen sich am 15. Januar rund 60 Expert/innen aus Politik, Wirtschaft und Weiterbildung. Eingeladen hatte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Kooperation mit der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie.

Teilnahme an der beruflichen Weiterbildung muss deutlich wachsen. Grundbildung darf nicht an einer Zuständigkeitsdebatte scheitern.

Nicht nur der Fachkräftemangel in Deutschland sei ein Grund, sich um die Grundbildung am Arbeitsplatz zu bemühen, sagte der Staatssekretär im BMBF, Christian Luft. „Vielen Menschen ist Arbeit wichtig. Arbeit bringt Sicherheit, Zufriedenheit und gesellschaftliche Teilhabe.“ Daher sei es eine gute Nachricht, dass rund 60 Prozent der Menschen mit Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben erwerbstätig sind. „Ihre Teilnahme an der betrieblichen Weiterbildung ist aber unterdurchschnittlich. Das darf so nicht bleiben. Wir müssen die erforderlichen Voraussetzungen. Das darf nicht an Abgrenzungen in den Zuständigkeiten scheitern.“ Ähnlich argumentierte Beate Stoffers, Berliner Staatssekretärin für Bildung: „Hier geht es um Zugang zu wichtigen Entwicklungen wie der Digitalisierung. Mit der Nationalen Weiterbildungsstrategie sind wir einen großen Schritt in die richtige Richtung gegangen.“

Sowohl das BMBF als auch die Berliner Senatsverwaltung verwiesen auf zahlreiche Modellprojekte, die in den vergangenen Jahren umgesetzt wurden. So fördert der Bund im Rahmen der arbeitsbezogene Transferprojekte wie AlphaGrund, MENTO oder BasisKomPlus. Die Berliner Senatsverwaltung hat u.a. ein Förderprogramm für Alphabetisierung und Grundbildung eingerichtet, in dem mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds und mit Mitteln aus dem Landeshaushalt unter anderem Projekte gefördert werden, die auf eine Ausbildung oder eine berufliche Weiterbildung vorbereiten. Einen innovativen Lernort hat beispielsweise die Volkshochschule Berlin-Neukölln mit ihrem bundesweit bekannten Lernhaus entwickelt.

Gespräch © Bildkraftwerk/ P.Weiler
Moderator Armin Himmelrath im Gespräch mit Anke Frey, Lutz Neumann und Gerd Prange. (v.r.n.l.)


Jobcenter als Orte der Beratung und Begleitung

Konkrete Erfolge in der Praxis wurden in der ersten Diskussionsrunde vorgestellt. So trägt das Jobcenter Berlin-Lichtenberg seit dem vergangenen Jahr das Zertifikat Alphasiegel. Dort betreuen rund 600 Beschäftigte etwa 30.000 Menschen mit Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung. Bei weitem betreffe das nicht nur Arbeitslose. „Uns fällt auch die Aufgabe zu, gering qualifizierte Menschen in einfachen Hilfstätigkeiten zu Fragen der Weiterbildung zu beraten“, sagte der Geschäftsführer Lutz Neumann. „Grundbildung ist hier ein großes Thema.“ Mittlerweile sei in seinem Jobcenter jede/r fünfte Beschäftigte sensibilisiert. In jedem Team gebe es Lotsen für Menschen mit Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben.

Gerd Prange weiß, wie wichtig gut qualifiziertes Personal im Hilfesystem ist. Mit über 50 Jahren vertraute er seiner Sachbearbeiterin im Jobcenter an, dass er kaum lesen und schreiben kann. Seither lernt er und macht anderen Betroffenen Mut. Prange ist Botschafter im Praxisprojekt MENTO und spricht als so genannter Lerner-Experte für das Berliner Grundbildungszentrum öffentlich über seine Geschichte. „Mut ist wichtig. Mit dem ersten Kurs sind die Probleme ja nicht vorbei. Auch nach all den Jahren habe ich mit dem Lesen und Schreiben Schwierigkeiten.“

Viele Unternehmen brauchen Druck, bevor sie handeln

Vertraute Kolleg/innen, schnelle Erfolge am Arbeitsplatz, beruflicher Aufstieg: All das, so die allgemeine Erfahrung, könne Betroffenen helfen, trotz Schwierigkeiten in der Grundbildung am Ball zu bleiben. Und dennoch sei es nach wie vor schwierig, Unternehmen für Angebote der arbeitsplatzorientierten Grundbildung zu öffnen, sagte Anke Frey, Koordinatorin des bundesweiten Projekts BasisKomPlus. „Es hängt viel davon ab, zum richtigen Zeitpunkt die richtige Person zu erreichen.“ Häufig setze erst eine akute Problemlage – etwa eine Umstrukturierung oder ein Mangel an geeigneten Fachkräften – die nötige Energie für das Thema frei. Diese Problemlagen treten jedoch immer häufiger auf, weil die Arbeitswelt im Umbruch ist und geeignete Fachkräfte fehlen.

Informationsabend © Bildkraftwerk/ P.Weiler
Andreas Henkes, Dr. Barbara Dorn, Dr. Ulrich Raiser und Matthias Anbuhl haben unterschiedliche Ansichten über die Finanzierung von Lernangeboten. (v.r.n.l.)


Grundbildung langfristig fördern. Aber wie strukturell verorten?

Offene Fragen zeigten sich am zweiten Thementisch. Dort diskutierten Vertreter/innen der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) sowie der Berliner Bildungssenatsverwaltung über die strukturellen Bedingungen für eine bessere Grundbildung am Arbeitsplatz. Seit dem vergangenen Jahr ist bessere Grundbildung ein ausdrückliches Ziel der Nationalen Weiterbildungsstrategie.

Einigkeit bei den Diskutanten besteht darüber, dass Alphabetisierung und Grundbildung mit dem Fokus auf die betriebliche Weiterbildung weiter gestärkt werden muss. Doch ist weiterhin unklar, wer welche Aufgaben und Kosten übernimmt. Unter den Diskutanten gab es insbesondere unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Rolle die Bundesarbeitsagentur dabei spielt. Verwies Andreas Henkes vom BMAS bei der Vermittlung ausreichender Alphabetisierungskompetenzen auf die bildungspolitische Zuständigkeit der Länder, forderte Dr. Ulrich Raiser (Bildungssenatsverwaltung Berlin) mehr Unterstützung der Bundesarbeitsagentur für die arbeitsbezogene Alphabetisierung und Grundbildung. Bund, Länder und Sozialpartner wollen in einem Themenlabor weitere Schritte der Umsetzung besprechen.

Mit dem Theaterstück „Der erste Mensch“ über die Kindheit Albert Camus‘ endete der Abend. Schauspieler Joachim Król las aus dem autobiografischen Werk des Literaturnobelpreisträgers, der in einer Familie aufwuchs, in der niemand lesen und schrieben konnte. Das BMBF begleitet die Theatertournee im Rahmen der AlphaDekade.

Infoabend

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